Wo ich bin, will ich sein

Preisvergleich
Wo ich bin, will ich sein.

Auf der Autofahrt zu meinem Seminar in der letzten Woche habe ich unterwegs eine CD von Jens Corssen gehört, einem der ersten Verhaltenstherapeuten Deutschlands. Eine seiner Kernthesen lautet: „Da wo ich bin, will ich sein. Alles andere war mir in meiner Vorstellung bisher zu teuer.“

Es gibt nur Lösungen mit Preis

Diese Idee begleitet mich – immer wieder etwas anders formuliert – schon eine ganze Weile. Im Rahmen meiner Dranbleib-Challenge habe ich zum Beispiel die Frage aufgeworfen: Bist du bereit den Preis zu bezahlen? Denn es gibt nur Lösungen mit Preis. Wann immer ich eine Entscheidung treffe, habe ich in irgendeiner Weise Preise verglichen. Wer in einer Ehe verweilt, obwohl die Liebe eher abgekühlt ist, lebt vielleicht in dem Gefühl, dort eigentlich nicht mehr sein zu wollen. Doch solange er bleibt, scheinen zumindest in der eigenen Vorstellung die Vorteile die Nachteile zu überwiegen. Wenn ich Tag für Tag einer Arbeit nachgehe, obwohl ich die Arbeit gar nicht gern mache, ist es dennoch die eigene Entscheidung. Zumindest in Deutschland muss niemand arbeiten, um zu überleben.

Wenn die Alternative zu teuer ist

Während des Seminars haben wir angeregt diskutiert. Denn natürlich geht es den meisten Menschen oft so, dass sie nicht das Gefühl haben, aus freien Stücken da zu sein, wo sie sind – sondern aufgrund äußerer Umstände, weil es sich so ergeben hat oder eben, weil die Alternativen unattraktiv sind. Und genau auf Letzteres zielt die These von Corssen ab. Selbst wenn mich der Status Quo nicht mit Glück erfüllt, so habe ich ihn doch selbst gewählt. Weil mir die Alternativen zu teuer waren, sprich noch unattraktiver erschienen. Wer Verantwortung für seine Familie übernimmt, für den ist das oft so selbstverständlich, dass er die Alternative, Frau und Kinder oder Mann und Kinder ihrem Schicksal zu überlassen und frei durch die Lande zu ziehen als unmöglich ansieht.

Jede Entscheidung ist das Ergebnis eines Preisvergleichs

Ich habe zu Beginn meiner Trainertätigkeit eine Zeitlang in einem Projekt gearbeitet, in dem Langzeitarbeitslose über 50 saßen, die sich nicht freiwillig zu diesem Projekt angemeldet hatten. Da war die Diskussion darüber, wie freiwillig ihre Anwesenheit war, von heftigen Emotionen begleitet. Wenn die Alternative in einer finanziell ohnedies prekären Situation die ist, weitere finanzielle Einschnitte in Kauf zu nehmen, dann fühlt es sich für die wenigsten nach freiwilliger Entscheidung an, diese Einbußen zu vermeiden. Und doch ist auch diese Entscheidung eine bewusste Wahl, das Ergebnis eines Preisvergleichs.

Die Verantwortung für mich übernehmen

Der Vorteil, den diese Betrachtungsweise hat, ist weit weniger virtuell, als manch einer jetzt vielleicht denken mag. Meine Teilnehmer damals meinten zunächst, dass sie, auch wenn sie sich für die eine und gegen die andere Alternative entschieden haben, davon noch lange nicht freiwillig und erst recht nicht gern da sind. Aber in dem Moment, in dem ich mir bewusst mache, dass ich mich letztlich für das entschieden habe, was ich derzeit tue und mich tagtäglich aufs Neue dafür entscheide, übernehme ich die Verantwortung für mich und mein Schicksal. Und werde dadurch handlungsfähiger. Und oft wirkt sich diese Betrachtungsweise auch positiv auf die Gesundheit aus.

Von ich muss zu ich will

Denn das Gefühl von Stress entsteht zumeist weniger aus dem Gefühl von Zeitmangel als vielmehr aus dem Gefühl von Fremdbestimmung. Meine Situation als Gefängnis und nicht als selbstgewählten Zustand zu erleben, verursacht oft sehr unangenehme Stresssymptome. „Ich muss meine Familie ernähren“ fühlt sich deutlich enger und unangenehmer an als „ich will meine Familie ernähren“. Im „ich muss“-Modus befinde ich mich dann quasi im permanenten Kampf gegen das, was derzeit ist und fühle mich ohnmächtig.

Wenn ich mir aber bewusst mache, dass ich die für mich sinnvollste Alternative im Rahmen der derzeit gegebenen Möglichkeiten lebe, dann mag die Situation immer noch nicht traumhaft sein, aber ich erlebe mich als selbstbestimmt. Und dann kann ich entweder bleiben, wo ich bin und es mit mehr Spaß tun oder aus dem Erleben von Selbstbestimmung heraus die Veränderung anstreben. Denn ich „muss“ ja nicht mehr.

Fragen nutzen

Ich nutze auch sehr gern Fragen, um das „ich muss“ zu entmachten. Allen voran die Frage: Was würde passieren, wenn du es nicht tust? Und zur darauf erfolgenden Antwort: Ist es dir wichtig, dass das nicht eintritt? So kann ich mir schnell klar machen, was mich bewegt, da zu sein, wo ich bin. Wenn ich zum Beispiel das Gefühl habe, dass ich zur Schwiegermutter fahren „muss“, dann kann ich mich fragen, was passieren würde, wenn ich es nicht täte. „Mein Mann wäre traurig oder enttäuscht.“ Und ist es dir wichtig, dass das nicht eintritt? Ja, ist es mir, denn ich liebe meinen Mann und möchte ihn nicht enttäuschen.

Und schwupps wird aus dem „Ich muss zur Schwiegermutter fahren“ ein „Ich möchte dahin fahren, weil mein Man mir wichtig ist.“ Selbst wenn die Schwiegermutter dann nervt, ist das Grundgefühl ein völlig anderes und ich kann zumeist sogar gelassener damit umgehen, weil ich mich bewusst dafür entschieden habe, hier zu sein.

Achte mal einen Tag lang darauf, wie oft du „ich muss“ oder auch „ich muss noch“ denkst. Wenn du Lust hast, mach dir eine Strichliste. Je öfter du „ich muss“ durch „ich will“ (oder die gut erzogene „ich möchte“ Variante) ersetzt, umso mehr Unbeschwertheit lädst du in dein Leben ein.

 

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13 Comments

  1. iliane 19/05/2016at7:44

    Hi Ingrid,

    schöne Info…denke genauso, die Entscheidung/Entschluss zu den Dingen ist ausschlaggebend. Find ich interessant das Thema.
    Grüße

    Reply
  2. Katrin 26/05/2016at17:11

    Hallo Ingrid,

    im Großen und Ganzen stimme ich dir zu. Die Einstellung ändert vieles und macht vieles leichter. Und fast immer haben wir die Wahl. Klar, das Wetter können wir nicht ändern – doch, ob wir hier sind oder woanders hinziehen in Regionen mit besserem Wetter, oder welche Kleidung wir anziehen wenn wir rausgehen, oder ob wir es genießen wollen, unter Wolken zu duschen…

    Was ist mit folgender Situation:
    Ich beziehe derzeit ALG und das reicht mir nicht. Um meine Situation zu ändern, schreibe ich Bewerbungen. Allerdings bekomme ich nur Absagen, zT weil ich “überqualifiziert” bin.
    Ich möchte gerne aus der Situation raus und der Preis, dafür weniger Freizeit zu haben und eventuell auch Aufgaben zu machen, die mir nicht nur Spaß machen, ist mir nicht zu hoch. Aber das scheint gerade nicht zu helfen, jedenfalls hat es mir bisher noch keinen Job beschert. Und ja, da neige ich dazu, einen Teil der Schuld ins Außen zu schieben. Schließlich bin ich gut ausgebildet und bringe wertvolle (Lebens-) Erfahrungen mit.

    Ich bin nicht da, wo ich sein will. Und nun?

    Liebe Grüße
    Katrin

    Reply
    1. Benutzer-Avatar Ingrid Huttary 26/05/2016at23:20

      Liebe Katrin,
      ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es sich nicht so anfühlt, als wärst du freiwillig im ALG, erst recht nicht, wenn du dich schon um Jobs bemühst, für die du überqualifiziert bist. Und doch – ich vermute, du bist nicht bereit um jeden Preis wieder in Arbeit zu kommen. Ich weiß natürlich nicht, wie genau du dich bewirbst. Allerdings erlebe ich es oft, dass Menschen zwar bereit sind, Bewerbungen zu schreiben, nicht aber vorab mit den Unternehmen, die sie interessieren auch zu telefonieren und im Nachgang zur Bewerbung erneut. Und der Großteil freiwerdender Jobs wird ohnedies über Netzwerke vergeben. Deswegen ist der effektivste Weg, in Arbeit zu kommen, intensives Netzwerken. Auch das liegt nicht jedem. Ich will damit sagen, die Art und Weise, wie du dich darum bemühst, deine Situation zu ändern, ist auch schon das Ergebnis von selbst getroffenen Entscheidungen – und diese Entscheidungen können dazu beitragen, dass sich die Situation nicht so schnell ändert, wie du es gern hättest. Und ja, jede Lebenssituation ist das Ergebnis von Wechselwirkungen zwischen Außen und eigenem Tun. Weil aber immer eigenes Tun beteiligt ist, ist jede Situation auch Ergebnis eines Preisvergleichs. Ich denke, dass du, sofern du bereit wärst, jeden Job anzunehmen, du auch einen hättest. Solange du aber – wie berechtigt auch immer – eben nicht jeden Job machen möchtest, ist deine aktuelle Situation eben auch das Ergebnis eines Preisvergleichs. “Da wo ich bin, will ich sein. Alles andere war mir in meiner Vorstellung bisher zu teuer”, heißt ja nicht, dass ich den Status Quo liebe. Es heißt nur, dass mir derzeit im Rahmen meiner Wahlmöglichkeiten mein Status Quo am wenigsten unattraktiv erscheint.

      Der Satz „Da wo ich bin, will ich sein.“ macht erst mit dem Zusatz des Preisvergleichs Sinn. Denn dann wird klar, ich bin nicht Opfer äußerer Umstände, sondern Preisvergleicher. Ich muss nicht da sein, wo ich bin, sondern es ist derzeit meine höchste Wahl – so ungeliebt sie auch sein mag. Es geht ja nicht um objektive Wahrheiten, sondern um empfundene Wirklichkeiten. Und das Gefühl, dass es derzeit meine höchste Wahl ist, fühlt sich entschieden besser an als das Gefühl von Ohnmacht und ausgeliefert sein. Macht das Sinn für dich?

      Liebe Grüße Ingrid

      Reply
      1. Katrin 05/06/2016at18:51

        Liebe Ingrid,

        ja, du hast mich “ertappt” – ich will NICHT JEDE Arbeit machen.
        Der Preisvergleich ist echt entscheidend.

        Danke! Und liebe Grüße 🙂

        Reply
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