Modell der Welt
In fast allen meinen Seminaren komme ich irgendwann auf das Thema vom Modell der Welt. Oft stelle ich zur Einleitung die Frage. „Wer von euch hat schon mal gestritten und geglaubt, er hat Recht?“ Das löst meist ziemliches Gelächter aus, weil im Grunde jeder der Anwesenden diese Erfahrung schon mal gemacht hat. Und natürlich auch die, dass der andere auch geglaubt hat, er hat Recht. Sonst gäbe es ja keine Auseinandersetzung darüber.
Die Illusion der „richtigen“ Wahrnehmung
Mit der Frage lässt sich leicht aufzeigen, dass wir ganz oft der Illusion aufsitzen, dass unsere Wahrnehmung die „richtige“ sei. Und ja, sicher gibt es auch bisweilen objektiv messbare Tatsachen. Allerdings sind auch die eingefärbt von unseren eigenen Vorerfahrungen oder von den im Umfeld verfügbaren Informationen.
Die Landkarte ist nicht das Gebiet
Der polnisch-amerikanische Ingenieur und Linguist Alfred Korzybski (1879-1950) prägte in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts den Satz: „Die Landkarte ist nicht das Gebiet.“ Gemeint ist mit diesem Bild, dass niemand tatsächlich die echte Welt da draußen eins zu eins wahrnimmt, das Gebiet also. Stattdessen bildet jeder Mensch aus den vielen Eindrücken, die auf ihn einströmen, seine eigene subjektiv gefärbte Wirklichkeit, also seine eigene Landkarte.
Beim Franzosen
Bei einem Kollegen habe ich dazu vor einiger Zeit ein Beispiel gelesen, das mich sofort zum Schmunzeln brachte. Abends in einem schicken französischen Restaurant. Es war brechend voll. Und plötzlich sprang ein Kunde auf und schimpfte los: „Ich habe schon zweimal die Rechnung verlangt, jetzt ist bereits wieder eine Viertelstunde vergangen. So ein schlechter Service. Ich bin wirklich enttäuscht.“ Der Kellner dreht sich langsam um, nickt würdevoll und schreitet davon.
Sechs Wirklichkeiten
Die Frau am Nebentisch denkt: „Wie peinlich, einfach so durch den Raum zu brüllen.”
Der Mann zwei Tische weiter denkt: „Der kann doch froh sein, überhaupt einen Platz in diesem Nobelschuppen bekommen zu haben.”
Eine andere Frau denkt: „Wow, wie mutig. Ich wünschte, ich würde mich trauen, so für meine Rechte einzustehen.”
Ein Mann am anderen Ende des Raumes denkt sich: „Wenn der Kellner das mit mir gemacht hätte, dem hätte ich eins auf die Mütze gegeben.“
Die Frau am anderen Nebentisch denkt sich: „Wie ungeschickt, ich wäre halt einfach zum Kellner gegangen und hätte ihm gesagt, dass ich es eilig habe.”
Und noch ein anderer Mann denkt: „Der hat sich aber gar nicht im Griff. Armes Würstchen.”
In jedem Kopf ein anderer Film
Immer dieselbe Situation. Aber in jedem Kopf läuft ein anderer Film. Weil wir nie die Welt so sehen, wie sie ist. Wir sehen das, was zu unserer Landkarte passt. Das, was zu meinen Vorerfahrungen, meinen Werten, meinen Überzeugungen passt. Wenn ich das erst einmal verinnerlicht habe, dann kann ich mir ganz viele Diskussionen sparen. Und dann ist es nicht mehr aufgesetzt, wenn ich so genannte Ich-Botschaften verwende. Dann kann ich nämlich nur noch über meine Wahrheit, über mein Modell der Welt sprechen.
Und wenn ich diese Erkenntnis auf Konflikte beziehe, dann komme ich schneller dahin, über Wünsche und Bedürfnisse zu sprechen. Statt darüber, wer Recht hat. Und das führt nach meiner Erfahrung nicht nur zu sehr viel konstruktiveren Auseinandersetzungen, sondern auch viel eher zu einvernehmlichen Lösungen.
Die Autorin: Ingrid Huttary, Coach für Selbstwirksamkeit und Lebensfreude
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