Werteorientiert Führen – wie geht das?
Was heißt eigentlich werteorientiert führen? Zunächst mal muss ich dafür definieren, was ich unter Werte verstehe und was nicht. Wenn ich von werteorientiert führen spreche, dann verstehe ich unter Werten nicht materielle Werte, wie Haus, Auto, Yacht oder andere Besitztümer. Es geht vielmehr um eher abstrakte Begriffe wie Sicherheit, Freiheit, Selbstbestimmung, Zuverlässigkeit oder Ehrlichkeit. Die genaue Bedeutung dieser Worte legt jeder für sich aus, doch in der Regel lösen die Begriffe, die uns etwas bedeuten, sofort eine emotionale Reaktion aus.
Unsere tiefsten Motivatoren
Im NLP sprechen wir davon, dass Werte unsere tiefsten Motivatoren sind, die Eckpfeiler unseres Lebens. Unsere Werte definieren, was wir für richtig und für falsch halten, wofür es sich lohnt sich einzusetzen, wo wir uns gern aufhalten und wo wir lieber schnell wieder verschwinden. Manche Werte übernehmen wir von unseren Eltern, andere entwickeln wir gerade in Abgrenzung gegen sie. Die Gesellschaft, in der wir leben, unser Umfeld, unsere Lehrer, Mentoren und Vorbilder, all das trägt dazu bei, dass wir unser eigenes, individuelles Werteset herausbilden.
Werte wirken oft unbewusst
Oft sind uns unsere Werte gar nicht bewusst, auch wenn sie unser Verhalten massiv beeinflussen. Als ich nach dem Studium angefangen habe, zu arbeiten, kannte ich meine Werte nicht. Es ergab sich eher zufällig, dass ich ein Karriereangebot bei einer Bank bekam. Bereits nach kurzer Zeit habe ich mich sehr unwohl und unglücklich gefühlt. Jeden Tag zur mehr oder minder gleichen Zeit an den gleichen Ort mit den gleichen Leuten zur mehr oder minder gleichen Tätigkeit zu gehen, entsprach nicht meinem Naturell. Mir sind Lebendigkeit, Abwechslung und Freiheit ganz wichtig, lauter Werte, die dem Alltagstrott widersprachen.
Das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit
Und dann kam der Tag, an dem Urlaubssperre für alle galt, weil eine große Softwareumstellung erfolgte. Deswegen durfte ich nicht zu einem wichtigen Jubiläum meines Vaters fahren, obwohl ich völlig sinnlos rumsaß, weil ich zu der Umstellung keinen sinnvollen Beitrag leisten konnte. Diese Sinnlosigkeit kollidierte massiv mit meinem Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit. Mit Ach und Krach habe ich bis zum Ende der Probezeit durchgehalten. Mein Umfeld damals verstand nicht, wie ich einen Traineevertrag mit glänzenden Aussichten so leichtfertig beenden konnte.
Auch wenn mir damals noch nicht klar war, dass in meiner persönlichen Wertehierarchie Freiheit und Sinnhaftigkeit weit über Sicherheit und Karriere rangieren, habe ich gespürt, dass ich am falschen Ort war und die Reißleine gezogen. Warum erzähle ich dir das an dieser Stelle? Im heutigen Arbeitsumfeld spielt das Thema Werte eine weit größere Rolle, als in den 90er Jahren, in denen meine Geschichte sich abspielte.
Die eigenen Werte als Führungskraft herausarbeiten
Wer heute erfolgreich führen möchte, sollte sich seiner eigenen Werte bewusst sein und möglichst auch mitbekommen, was seinen Mitarbeiter*innen wichtig ist. Wer werteorientiert führen möchte, sollte zunächst mal seine eigenen Werte herausgearbeitet und reflektiert haben. Was ist mir wichtig? Wofür stehe ich? Und wie beeinflussen diese Werte mein Verhalten?
Eine erste Orientierung geben Antworten auf Fragen, wie etwa:
- Womit verbringst du eine Zeit?
- Wofür investierst du deine Energie?
- Wofür engagierst du dich?
- Was macht dir richtig Spaß?
Und dann schau, was jeweils dahinter steckt. Vielleicht merkst du an der einen oder anderen Stelle, dass du dich von dem, was dir eigentlich wichtig ist, ein Stück entfernt hast. Manchmal kann es nützlich sein, zwischen beruflich und privat zu differenzieren, weil die Werte jeweils durchaus andere sein können. Manchmal ist es aber auch hilfreich, sich erst einmal den Überblick zu verschaffen, um eventuelle Ungleichgewichte zu entdecken.
Ärger als Hinweis auf wichtige Werte
Ebenfalls enorm hilfreich zur Ermittlung der eigenen Werte ist es, sich mit den Dingen zu beschäftigen, die einen auf die Palme bringen. Denn auch dahinter stehen meist Werte. Werte, die in diesen Fällen verletzt werden.
- Welches Verhalten ärgert dich so richtig?
- Welche Eigenschaften an anderen stören dich massiv?
- Was bringt dich so richtig in Rage?
Die Antworten auf diese Fragen kannst du dann mit der Frage abgleichen: Welchen mir wichtigen Wert verletzt dieses Verhalten, diese Eigenschaft? Meist ist diese Frage relativ leicht zu beantworten.
Werte und Entscheidungen
In meinen Seminaren nutze ich zur Ermittlung der eigenen Werte auch gern eine Übung, in der wir ganz konkrete Verhaltensweisen nutzen, um unseren tieferen Motivatoren auf die Spur zu kommen. Nimm eine Arbeitssituation, die du freiwillig verlassen hast. Versetz dich zurück in jene Zeit und frag dich:
- Was war es, was dich bewogen hat, zu gehen?
- Was hat dich gestört?
- Was hat dir bei dieser Arbeitsstelle / in dieser Arbeitssituation gefehlt?
- Welche Qualität war nicht da?
Im nächsten Schritt nimm eine Situation, in der du dich pudelwohl gefühlt hast wo ganz viel genau so war, wie du es magst. Versetze dich wieder in jene Zeit und frage dich:
- Was war es, was du in dieser Situation so geschätzt hast?
- Welche Qualität hat diese Situation so besonders gemacht?
- Was war in dieser Situation da, was du gern öfter und intensiver erleben möchtest?
Auch diese Fragen bringen dich auf die Fährte deiner oft unbewussten Werte.
Auf eine neue Art und Weise zuhören
Wenn dir dann klar ist, was deine dir wichtigen Werte sind, hast du das Fundament deiner Arbeit und deines täglichen Handelns aufgedeckt. Wer werteorientiert führen möchte, sollte dann im nächsten Schritt auf eine neue Art und Weise seinen Mitarbeitern zuhören und beobachten, was sie bewegt. Über die Dinge, für die sich deine Mitarbeiter und Kollegen engagieren und die, über die sie sich ärgern und aufregen, bekommst du auch gut mit, was ihre tieferen Beweggründe und Motivatoren sind. Und wenn ich, egal ob als Mitarbeiter oder als Führungskraft, meinen Werten entsprechend handeln kann und behandelt werde, dann blühe ich auf und gebe freudig mein Bestes.
Die Autorin: Ingrid Huttary, Coach für Führung und Selbstführung
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