Ich bin nicht gut genug und andere lästige Gedanken.
Martin Weiss, ein Trainer, der mich in meiner Laufbahn ein Stück des Weges begleitete, stellt die – wie ich finde – spannende These auf, dass sich die einengenden, angstauslösenden Gedanken auf vier Grundgedanken reduzieren lassen.
Der erste dieser vier Sätze, der mir sehr häufig begegnet, lautet:
Ich bin nicht gut genug.
Als ich noch ziemlich am Anfang meiner Ausbildung stand, hat meine damalige Trainerin mich schwer damit beeindruckt, dass sie erkannt hatte, dass in meinem Kopf immer wieder dieser Satz herumschwirrt: Du bist nicht gut genug. Heute weiß ich, dass das keine Hexerei war. Dieser Satz schwirrte nicht nur in meinem Kopf herum und bremste mich aus. Er schwirrt in ach so vielen Köpfen herum, drückt Schultern nieder, fungiert als Verhinderer und hält uns davon ab, uns mit dem zu zeigen, was da ist.
Eine Variante von „ich bin nicht gut genug“:
Ich hab was falsch gemacht.
Ich habe kein besonders gutes Gedächtnis (meine Kinder lachen schon deswegen), aber mir ist aus meiner Kindheit eine Anekdote in Erinnerung geblieben, weil sie mich so erschreckt hat. Ich weiß nicht mehr, wie alt ich genau war, irgendwo +/- 9 Jahre vielleicht. Da rief nachmittags meine Mutter mich zu sich nach unten. Ich bekam einen Riesenschreck, weil ich sofort gedacht habe: Oh Gott, was habe ich jetzt wieder falsch gemacht. Dabei hatte ich keine konkrete Missetat im Sinn. Also keine Angst, aufgeflogen zu sein. Als ich verschreckt unten ankam, warteten ein paar kleine Geschenke auf mich. Meine Mutter hatte meinen Namenstag verschwitzt. In irgendeinem Kalender war er ihr dann ins Auge gefallen und sie hatte noch schnell etwas für mich vorbereitet.
Im letzten Jahr ist mir diese Angst bei einer Kollegin begegnet. Als Teilnehmerinnen eines Onlinekurses sind wir uns auf einem Barcamp (Liveveranstaltung zum Onlinekurs) zum ersten Mal live begegnet. Sie stellte sich mir mit Vornamen vor. Bisher kannten wir uns nur aufgrund von Posts in einem Forum. Erfreut sagte ich: Ah, Marion Hansen (Name geändert). Auf ihrem Gesicht erschien unwillkürlich derselbe erschrockene Gesichtsausdruck, wie bei mir als Kind. „Warum erinnert die sich an mich. Was habe ich falsch gemacht?“
Beide Gedanken erzeugen Gefühle, zumeist Unsicherheit und Zweifel, manchmal große Angst oder gar Panik. Oft ist uns der Gedanke, der hinter einem Gefühl steckt, nicht bewusst, deswegen sind unsere Gefühle gute Indikatoren dafür, welche Gedanken oder Überzeugungen im Hintergrund vorhanden sind.
Wenn ich den Gedanken „ich bin nicht gut genug“ seine Kraft entfalten lasse, dann finde ich immer jemanden, der es noch besser kann als ich, dann habe ich im Grunde keine Chance, mich je frei zu zeigen, mit allem, was ich schon kann und bin. Der zweite Grundgedanke lautet:
Das Leben ist gefährlich.
Wenn ich diesen Gedanken auf berufliche Veränderung beziehe oder auf Selbstständigkeit, dann erzeugt er Befürchtungen, wie etwa: wenn ich das wage, dann kommt vielleicht eine Wirtschaftskrise oder irgendeine andere unvorhergesehene Veränderung und dann stehe ich da, ohne Sicherheit, mit dem Rücken zur Wand. Oder für mein Onlinebusiness: das ist ein Haifischbecken, da tummeln sich lauter Scharlatane, um da mitzuspielen, musst du gewappnet sein gegen all die bösen Buben, die nur darauf lauern, dich abzuzocken. Oder ich befürchte, dass mich die Wettbewerber anfeinden werden.
Noch viel genereller: wenn ich mich zeige, werden mich andere auslachen. Und viele haben ja auch schon die Erfahrung gemacht, ausgelacht worden zu sein. Und wie immer. Solche negativen Erfahrungen hinterlassen tiefere Spuren, als die Situationen, in denen uns jemand gelobt hat. Ganz früh schon bekommen wir mit: Kind pass auf. Was ja auch oft durchaus Sinn macht. Der dritte Grundgedanke benennt weit verbreitetes Mangeldenken:
Es ist nicht genug für alle da.
Für meine Selbstständigkeit kann dieser Satz Gedanken erzeugen, wie etwa: es gibt schon so viele andere, die Ähnliches auch anbieten. Der Markt ist nicht groß genug. Oder mich kleinmütig von vornherein verzagen lassen, nach dem Motto: Es ist nicht genug für alle da, deswegen versuche ich es erst gar nicht.
Mangeldenken ist immer ganz präsent, wenn Menschen ihre vermeintlich bedrohten Pfründe verteidigen, siehe Pegida und ähnliches. Der Gedanke dahinter: Mir könnte jemand was wegnehmen, was mir zusteht. Der vierte Grundgedanke:
Das Leben ist ein Kampf.
Wir müssen alle konkurrieren. Wir müssen alle im Wettbewerb sein. Wir müssen die anderen ausstechen. Besser sein. In der Schule: Wir müssen die Besten sein. Du kannst niemandem vertrauen. Drehst du dich um, fangen sie schon an, über dich zu tuscheln. Immer gibt es einen, der besser oder schneller ist. Du musst dich mehr bemühen, noch schneller strampeln, noch mehr arbeiten, dich noch mehr beweisen.
Keiner dieser Grundgedanken ist per se falsch oder schlecht.
Natürlich gibt es Kontexte, für die ich – vielleicht auch „nur“ noch – nicht gut genug bin. Und da draußen lauernd durchaus jede Menge Gefahren. Deswegen stimmt es oft genug, dass das Leben gefährlich ist. Und manchmal sind Märkte auch zu klein, um alle, die sich darauf tummeln wollen, zu ernähren. Dann ist auch mal wirklich nicht genug für alle da. Und oft lohnt es sich auch zu kämpfen. Oder es gilt sich zu verteidigen. Und dann ist das Leben auch mal Kampf.
Wie so oft, geht es darum, herauszufinden, ob der gerade vorherrschende negative Gedanke angemessen ist für die jeweilige Situation. Erfüllt er nur eine angemessene Schutzfunktion oder schießt mein innerer Wächter weit übers Ziel hinaus. Oft sind es auch die Menschen in unserem Umfeld, die Bedenken äußern, hinter denen ein solcher Grundgedanke steckt. Für die gilt genauso: angemessen oder schießen sie weit übers Ziel hinaus?
Die Wächterfunktion ernst nehmen
Weil diese Kernsätze letztlich kontextabhängig sind, bin ich mittlerweile auch zu dem Schluss gelangt, dass es nicht funktioniert, sie ein für alle Mal auflösen zu wollen. Wenn ich ihre Wächterfunktion ernst nehme, wäre es sogar fahrlässig. Ich arbeite ja bekanntlich mit NLP und habe eine Zeitlang gedacht: ich muss nur genug Selbstliebe „reinpumpen“, dann verschwindet das „ich bin nicht gut genug“ irgendwann. Ist es aber nicht. Und dann habe ich mich gefragt, ob ich es noch nicht gründlich genug, nicht nachhaltig genug, nicht mit der richtigen Methode aufgelöst hatte.
Mittlerweile bin ich zu der Überzeugung gelangt. Diese Gedanken gehören zum Leben dazu. Es geht gar nicht darum, sie ein für alle Mal wegzumachen. Sondern vielmehr darum, sie auf eine angemessene Dimension herunterzubrechen und auch darum, ihren Nutzen anzuerkennen.
Den Nutzen der Gedanken erkennen
Ich kann diese Gedanken auch utilisieren, sprich nutzen: als Ansporn besser zu werden. Um mich vor möglichen Betrügereien und anderen Gefahren zu schützen. Um mich gut vorzubereiten, wenn ich etwas Neues wage.
Meine aktuellen Lösungen im Umgang mit derartigen Gedanken lauten daher:
Erstmal wahrnehmen und annehmen. Gern augenzwinkernd, quasi wie einen alten, vertrauten Bekannten begrüßen.
Auf Angemessenheit überprüfen. Ich nutze dafür gern Fragen:
- Was kann mir schlimmstenfalls passieren? (Gern auch mal übertrieben: Werde ich geköpft? Gesteinigt?)
- Was verschenke ich, wenn ich es nicht wage?
Mit Ressourcen stärken. Z.B. mit der Frage:
- Tu mal so als ob, du gut genug wärst. Was ist dann da? Und wie kannst du falls nötig, dafür sorgen, dass du dir diese Ressourcen aneignest?
D.h., ich bleibe dabei, Ressourcen hinzuzufügen. Nur nicht mehr mit dem Ziel, dadurch ein für alle Mal den Gedanken in mir auszulöschen.
Und angemessen utilisieren. Wenn ich den Gedanken eben nicht nur loswerden möchte, dann kann ich viel besser seinen Nutzen für mich ergründen. Was will mein innerer Wächter mir sagen? Und wie viel davon kann ich dankend annehmen und trotzdem meinen Weg gehen.
Nach meiner Erfahrung sind bei den meisten Menschen ein bis zwei dieser Gedanken dominant. Wenn du sie dir jetzt quasi auf der Zunge zergehen lässt: Welcher der vier Gedanken ist dir besonders vertraut?
Die Autorin: Ingrid Huttary, Coach für Selbstwirksamkeit und Lebensfreude
Melde dich bei mir und hol dir ein unterstützendes Coaching. Vielleicht bin ich ja genau die Richtige, um dich aus dem Drama des (Ver)zweifelns zur konstruktiven Veränderung zu begleiten. Live in Berlin oder via Zoom. |
Hey Ingrid,
toll geschrieben. Und die Erkenntnis “alles wegmachen wollen” nicht wirklich realisieren zu wollen, sondern runterbrechen und den Ökocheck, in dem Sinne herauszufiltern. Find ich gut.
Viel Spass beim Weiterschreiben…
Liebe Iliane, vielen Dank. Freut mich sehr, wenn du mit meiner Erkenntnis was anfangen kannst. Liebe Grüße
Liebe Ingrid!
Du sprichst mir aus der Seele. Ich bewundere es restlos, wie Du Deine Gedanken und Gefühle in Worte fassen kannst – dazu die Akzeptanz dessen, was ist! danke sehr, zu schade, dass wir soweit voneinander leben! von Herzen alles Gute, Deine Claudia
Liebe Claudia, vielen Dank für diesen total netten Kommentar. Freut mich, wenn dir meine Art zu schreiben gefällt. Und wer weiß, vielleicht sehen wir uns ja trotzdem irgendwann mal Herzliche Grüße Ingrid
Hallo Ingrid –
Danke für den Artikel 🙂
Eine Frage:” Fehlt da ein ‘nicht’?”
“Weil diese Kernsätze letztlich kontextabhängig sind, bin ich mittlerweile auch zu dem Schluss gelangt, dass es nicht funktioniert, sie ein für alle Mal auflösen zu wollen. Wenn ich ihre Wächterfunktion ernst nehme, wäre es sogar fahrlässig.“
“Wenn ich ihre Wächterfunktion ‘nicht’ ernst nehme,…” passt für mich besser.
Viele Grüße Matthias
Lieber Matthias, danke für die Idee. Das freut mich echt sehr, weil es zeigt, dass du aufmerksam mitliest. Gemeint ist von mir, dass es fahrlässig wäre, die Sätze ein für alle Mal auflösen zu wollen, wenn ich die Wächterfunktion ernst nehme. Aber deine Variante funktioniert auch, würde dann bedeuten, dass es fahrlässig wäre, die Wächterfunktion nicht ernst zu nehmen.
Liebe Grüße
Ingrid