Kognitive Verzerrungen im Alltag

kognitive Verzerrungen - zwei Hände mit ausgetrecktem Zeigefinger, die sich gegenseitig anklagen
Schnell gedacht und oft daneben – kognitive Verzerrungen im Alltag

Wer hier schon länger mitliest, weiß ja inzwischen, dass ich ein großes Faibel für psychologische Konzepte und Studien habe. Jetzt ist mir wieder so ein Konzept über den Weg gelaufen: die kognitiven Verzerrungen, auch kognitive Bias aus der Kognitionspsychologie. Der Begriff beschreibt systematische Neigungen in unserem Denken und unserer Wahrnehmung. Also keine individuellen Wahrnehmungspräferenzen, sondern unbewusste Denkmuster, zu denen alle Menschen neigen.

Im Grunde sind kognitive Verzerrungen eine Art short cuts, also Abkürzungen, in unsicheren Situationen zwar nicht unbedingt vernünftig, aber intuitiv und damit schnell handeln zu können. Im NLP würden diese Verzerrungen zu den Wahrnehmungsfiltern gezählt werden.

Die Mär vom vernunftgesteuerten Wesen

Das Konzept der kognitiven Bias räumt einmal mehr mit der Mär auf, der Mensch sei ein vernunftgesteuertes, rationales Wesen. Wie viele andere psychologische Systemen auch, unterscheidet die „Neue Erwartungstheorie“ von Kahnemann und Amos Tversky, die die kognitiven Verzerrungen ausführlich erforscht hat, zwei Systeme: das bewusste, logisch denkenden Selbst, das Überzeugungen hat, Entscheidungen trifft und sein Denken und Handeln bewusst kontrolliert – um den Preis, dass es langsam ist und viel Energie benötigt. Und das intuitive, schnell und mühelos entscheidende System, das die kognitiven Verzerrungen als Basis für schnelle Handlungen und Entscheidungen nutzt – um den Preis, dass immer wieder Fehleinschätzungen und irrationale Entscheidungen auftreten.

Hier alle erforschten Verzerrungen aufzuführen, würde den Rahmen eines Blogartikels sprengen, ich habe für heute ein paar ausgewählt, die zu kennen sich lohnt – Fortsetzung folgt. Immer unter dem Aspekt, einerseits selbst vielleicht ein paar Mal weniger in die unbewusste Falle zu tappen und andererseits auch mehr Verständnis für Verhaltensweisen unserer Mitmenschen zu entwickeln – gerade auch dann, wenn sie uns nicht sinnvoll und logisch erscheinen.

Verfügbare Informationen werden überbewertet – und damit häufig auch das eigene Tun

Ich erinnere mich sehr viel deutlicher daran, wie ich selbst das Bad geputzt habe als daran, dass mein Partner den Müll rausgebracht hat. Ich denke, in jeder Familie ist dieser Effekt leidlich bekannt. Insbesondere Geschwister nehmen sehr viel deutlicher das wahr, was sie selbst zum Allgemeinwohl beigetragen haben als das, was vielleicht der Bruder oder die Schwester getan hat.

In einem Experiment wurden Partner gebeten, ihren Anteil am Haushalt zu schätzen. Addierte man die gefühlten eigenen Anteile, überstiegen diese zusammen die 100 Prozent deutlich. Probier es mal zu Hause aus, dann wird vielleicht klarer, wo gefühlte Ungerechtigkeiten her kommen. Ich habe vor Jahren, als die Kinder noch ganz klein waren, mal mit meinem damaligen Partner Zeiten und Anteile fest vereinbart, nachdem der jeweils gefühlte Anteil weit auseinander klaffte. Persönliche Erfahrungen sind halt sehr viel präsenter als die Begebenheiten, die anderen widerfahren. Für den familiären Frieden kann es also sehr dienlich sein, lieber schriftlich festzuhalten, wer wie viel Zeit für Haushalt und Gemeinwohl einbringt.

Der fundamentale Attributionsfehler und die selbstwertdienliche Verzerrung

Wenn jemand anderes sich nicht so verhält, wie wir es gern hätten, dann schreiben wir das eher seinem Charakter zu als der aktuellen Situation. Der Kollege, der Kunde, der Onkel ist halt so. Das heißt Menschen neigen systematisch dazu, den Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften, Haltungen und Meinungen zu überschätzen, während sie gleichzeitig den Einfluss äußerer Faktoren unterschätzen.

Ganz anders sieht die Sache aus, wenn es um uns selbst geht. Das eigene Verhalten begründen wir systematisch mit der speziellen Situation, insbesondere, wenn es vielleicht doch nicht so ganz toll war oder wenn wir das Ergebnis unseres Handelns als Scheitern werten.

Das führt dann systematisch dazu, dass die anderen per se böse, faul, unzulänglich etc. sind, man selbst aber nur das Opfer der Umstände und eigentlich ja gut. Was nützt mir nun diese schöne Erkenntnis? Dass ich vielleicht bisweilen, wenn ich nicht allzu emotional betroffen bin in der Situation, meinem Gegenüber seine Fehleinschätzung weniger übel nehmen – es ist halt eine tiefverwurzelte kognitive Verzerrung.

Die Erinnerungsverzerrung

Eine Beziehung geht zu Ende und plötzlich sind all die Jahre davor im Lichte dieser Trennung auf einmal auch nicht mehr so schön gewesen, wie ich sie vielleicht noch ein paar Monate vor der Trennung beurteilt habe. Unsere Erinnerung ist keineswegs stabil, sondern sehr stark abhängig davon, in welchem Zustand ich mich gerade befinde oder welches Ereignis zuletzt stattgefunden hat. Auch neigen wir dazu, von Ereignissen, an die wir uns leichter erinnern, zu denken, sie würden häufiger eintreten. Menschen verfügen in aller Regel nicht über ein fotografisches Gedächtnis.

Wenn ich das weiß, kann ich leichter darauf verzichten, meine Erinnerung als die einzig richtige durchsetzen zu wollen. Und wenn ich zum Beispiel meine eigenen Lernfortschritte wahrnehmen möchte, ist es sehr sinnvoll, meinen Entwicklungsstand regelmäßig schriftlich festzuhalten. Andernfalls wird meine Erinnerungsverzerrung mich womöglich um die Früchte des Erfolgs bringen, weil ich meinen eigenen Fortschritt bereits als schon immer dagewesenen Zustand wahrnehme.

Seltener tritt der Fall ein, dass Menschen denken, sie hätten sich wahnsinnig toll entwickelt oder verändert – schade nur, dass sie die einzigen sind, die diesen vermeintlichen Fortschritt sehen.

Confirmation bias – der Bestätigungsfehler

Wer sich schon mal mit Wahrnehmung beschäftigt hat, weiß längst, dass wir in erster Linie das wahrnehmen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Insofern ist der Bestätigungsfehler die logische Konsequenz dessen. Mit Bestätigungsfehler ist gemeint, dass Menschen dazu neigen, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen. Dies geschieht nicht einmal bewusst, denn natürlich nehme ich eher das wahr, was zu dem passt, was ich ohnedies schon denke. Andere Informationen haben es definitiv schwerer, zu mir durchzudringen.

Wenn ich mir dessen bewusst bin, dann kann ich an Stellen, wo es mir wichtig ist, eher nochmal bewusst darauf achten, auch Informationen zu suchen, die meinen eigenen Standpunkt konterkarieren.

Wenn ich sehr misstrauisch bin, lohnt es sich, immer wieder bewusst darauf zu achten, wann ich gute Erfahrungen mit meinen Mitmenschen mache. Bin ich eher vertrauensselig unterwegs, kann ich mir sicher manch negative Erfahrung ersparen, wenn ich mein Augenmerk öfter auf die kritischen Stimmen lenke.

Und? Kommt dir der eine oder andere Effekt bekannt vor? Dann weißt du ja jetzt, dass dahinter keineswegs bewusste Absichten stecken, sondern tiefverwurzelte unbewusste schnelle Denkmuster. Achte einfach ab jetzt öfter mal auf diese Phänomene und nimm dir öfter die Zeit, zweimal nachzudenken, eh du vorschnell urteilst oder handelst. Insbesondere unter Stress heißt es, wachsam sein, denn dann treten diese Muster besonders gehäuft auf.

 Die Autorin: Ingrid Huttary, Coach für Selbstwirksamkeit und Lebensfreude

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4 Comments

  1. Andreas 15/09/2016at19:30

    Hallo Ingrid, ein schöner Artikel zum richtigen Zeitpunkt. Ich nehme den Impuls gerne auf und kalibriere mal wieder meine Wahrnehmung / Bewertungssysteme … Danke und liebe Grüße!

    Reply
  2. Pingback:Was ich hab, das hab ich oder Verlustaversion lässt grüßen - Offene Horizonte, NLP and more

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